Wie kam es zu der Comicidee »Porajmos«
und warum gerade dieser Titel?
Der Titel ist nicht typisch für Sinti und die Schreibweise existiert in vielen Abwandlungen, so gibt es beispielsweise auch die Bezeichnung „Porrajmos“. So wenig angemessen die Bezeichnung auch im ersten Moment erscheinen mag, sie versinnbildlicht den Genozid wie keine andere: „Porajmos“ ist das „Verschlingen“.
Verfolgt man, wie viele Menschen „verheizt“, „gequält“, „gefoltert“, als „humanes Experimentalmaterial“ grausam missbraucht wurden, erkennt man die Sprengkraft der Begrifflichkeit. Verschiedenen Schätzungen zufolge starben 500.000 Sinti und Roma infolge des Völkermords (Simon Wiesenthal geht von 2.500.000 Ermordeten aus). Eine Tatsache, die selbst heute im Geschichtsunterricht, meist nicht mehr als eine Randnote bietet, wenngleich die harten Konsequenzen dieses Genozids fast bis zur Ausrottung weiter spürbar sind und fortwirken.
Juristische und staatliche Stellen haben den Großteil von Wiedergutmachung mit der Begründung abgelehnt, dass die KZ-Inhaftierung berechtigt war, da „Zigeuner“ durch Ihre delinquente Lebensweise diesen Umstand selbst herbeigeführt hätten.
Verschwiegen wird dabei, dass das Naziregime sowohl die teil- und ganzheitliche nicht-sesshafte Lebensweise bereits zum Anlass nahm, ganze Familienzweige zu inhaftieren.
Nach und nach wurden die Selektionsmethoden systematisiert, wurden Studien und Versuche angestellt, Sinti und Roma rassebiologisch zu identifizieren, wurden sie vermessen und kategorisiert, um sie anschließend masssenhaft zu ermorden. Robert Ritter und Eva Justin untersuchten die Sprachen der Sinti und Roma, die Sitten und Gebräuche, um noch präziser „Zigeuner“ zu selektieren.
Dazu gehörte auch die Erfassung der typischen Nachnamen im Ritterbuch, einem Werk, das auch heute noch auf Seiten der Ordnungsmacht Popularität genießt. Beide „Wissenschaftler“ wurden übrigens wie die Mehrzahl der anderen Nazi-Verbrecher nie für Ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen. Beide wurden trotz der zentralen Rolle zur Selektion nur als „Mitläufer“ eingestuft mit der eigenen Rechtfertigung, die Konsequenzen Ihres Tuns seien Ihnen nicht bekannt gewesen. Eine Rechtfertigung die genauso hinkt wie Göbbels. Umso erstaunlicher erscheint die späte Ehrung Ihrer Leistungen zur Selektion, durch Ihren damaligen Mentor... Auszug aus wikipedia zu Eva Justin und Robert Ritter:
„Im März 1948 wurde sie, obwohl sie niemals psychologisch mit Kindern gearbeitet hatte und auch kein Examen oder einen sonstigen Abschluss in Psychologie besaß, als Kinderpsychologin in Frankfurt am Main angestellt. Ihr Vorgesetzter war wiederum Robert Ritter, der seit dem 1. Dezember 1947 für die Stadt Frankfurt arbeitete. In der Folgezeit erstellte sie psychologische Gutachten über schwererziehbare Kinder. Justin und Ritter verwendeten zu dieser Zeit ihre Arbeitskraft auch darauf, die von ihnen unterschlagenen Akten des Reichsgesundheitsamtes, also die Planungsunterlagen des Völkermordes an Sinti und Roma, an Polizeibehörden und ehemalige Mitarbeiter der Forschungsstelle weiterzugeben.“ (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Eva_Justin)
Dieser „Ausklang“ ist typisch für die Mehrzahl der Nazi-Nachkriegskarrieren. Die meisten Verbrecher wurden für Ihre Greueltaten nur ganz selten bis nie zur Rechenschaft gezogen. Ihre Erkenntnisse dienten auch nach Kriegsende als Blaupause zur Ausgrenzung und „personenrechtlichen“ Identifizierung. Den Gipfel dieser Verdrängung von Verbrechen gegen Menschen bildete das Urteil des BGH von 1948, das die Ausweisung von Sinti und Roma aus Deutschland als rechtskräftig ansah und damit den Entzug der Personalien im Rahmen der KZ-Inhaftierung legitimerte. Damit sind die Taten der „Dirigenten“ dieses Genozids nur grob und oberflächlich beschrieben.
Vergegenwärtigen wir uns, was er auf Seiten der Opfer bewirkt hat, wird das ganze Ausmaß erfahrbar. Diejenigen, die mit dem Leben davongekommen sind, haben das Vertrauen in ihre Heimat Deutschland verloren, sehen Ihre Heimat nunmehr als Gefahr, Gefahr für Leib und Leben, jeden Tag aufs neue. Für jeden von uns beginnt der Tag mit neuen Vorurteilen und Benachteiligungen für etwas, das wir nicht ändern können und wollen – unsere Herkunft.
Wiedergutmachung wurde mehrheitlich von höchster staatlicher Stelle abgelehnt (auch wenn immer wieder Gegenteiliges suggeriert wird), rund 80% der Bevölkerung von Sinti und Roma wurden an den Rand der Ausrottung gebracht. Zurückgeblieben sind zwei traumatisierte Völkergemeinschaft, allein gelassen, missbraucht, verachtet und gemieden. Was kann sich aus diesem Zustand der Minderheit entwickeln?
Angst, Misstrauen, Ohnmacht, Enttäuschung, Krankheit, Identitätsverlust und sozialer Randstatus? Das Problem ist nicht die allein die Verdrängung der Verbrechen, sondern die sich daraus ergebenden Folgen.
Und sind das die Fragen, denen die mediale „Allgewalt“ mit journalistischem Spürsinn auf den Grund geht? Nein, es ist Kriminalität, Asozialität und Mangel an Integrationsbereitschaft, nun nicht mehr gepaart mit dem Begriff „Zigeuner“ sondern mit dem Wortpaar „Sinti und Roma“. Doch die Verdrängung wirkt fort. Nicht immer und nicht überall, aber immer, öfter und zunehmend massiver.
Das ist der Grund, warum ich das, was ich mache für richtig und wichtig halte, weil es bewirken kann, eine ganzheitliche Sicht der deutschen Geschichte zu entwickeln (Im April des nächsten Jahres wird die Comic-Novelle „Porajmos“ erscheinen):
Wenn Minderheiten so systematisch und drastisch dezimiert werden, ohne dass es zu einer Auseinandersetzung mit der Chance zur Veränderung des gemeinsamen Zusammenlebens kommt, bleibt mir und anderen kein anderer Weg .. kein Ausschmücken, kein Kleinreden, keine Verniedlichung, sondern nur der ungetrübte Blick auf die wahren Ereignisse.
Das einzige, was Veränderung bewirken kann, ist ungeschönte Wahrheit...einen ersten Einblick darin erhalten Sie mit diesen Bildern der Ausstellung.
Es gibt keine Erbschuld, aber eine gelebte Verantwortung. Dem versuche ich mit meinem Werk nachzukommen, als Sinto und als Deutscher gleichermaßen. Wenn Sie beides in sich tragen, ist die Verantwortung dafür unumgänglich.
Ich danke Herrn Arnold Weiß (Landesverein der Sinti in Hamburg) an dieser Stelle dafür, Ihnen dieses Bewusstsein näher zu bringen. Mit seiner Arbeit bewältigt er Tag für Tag, Stück für Stück die Aufarbeitung dieser multiplen Traumata und ihrer Folgen. Letztlich hängt das, was Sie davon halten und was Sie damit machen, von Ihnen ab. Es liegt in Ihrer Macht, sich dieser Verantwortung zu entziehen oder sich ihr zu stellen und sie für sich anzunehmen.
Nutzen Sie die Chance, Ihre Welt um Wissen und neue Sichtweisen zu bereichern. Wenn Sie mehr herausfinden möchten, nehmen Sie sich die Zeit dazu und fragen Sie, was Sie bewegt.
Latscho Diwes.